Ansichtskarte "The Bronco Buster" von Will Sutton, 1903, Cowboy auf bockendem Pferd, Glenwood Springs, Colorado.

 

Will Sutton schrieb und verschickte im Jahr 1903 eine Postkarte. Auf nicht mehr nachzuvollziehenden Wegen landete sie knapp 120 Jahre später in meiner Sammlung. Und nun ist „The Bronco Buster“ die erste Ansichtskarte meines KI-Postkarten-Projekt. Für das KI-Postkartenprojekt möchte ich historische Ansichtskarten mithilfe von Künstlicher Intelligenz transkribieren und analysieren.

Die Karte, die ich mir ausgesucht habe, wurde aus Glenwood Springs, Colorado abgeschickt. Und zwar am 7. Oktober 1903. Sie zeigt einen Cowboy auf einem bockenden Pferd. Der Text auf der Rückseite beschreibt persönliche Eindrücke und richtet sich an Mrs. Edward Dravo aus Allegheny City, Pennsylvania.

Bildseite/Rückseite Adressseite/Vorderseite

Der Bronco Bezwinger

Inhalt der Postkarte von Will Sutton

Der Absender, Will Sutton, erwähnt, dass er sich in Glenwood Springs mit Dampfbädern, Ausritten und Spazierfahrten beschäftigt und den prachtvollen Herbst genießt. Die Karte legte innerhalb von drei Tagen die 2600 Kilometer von Colorado nach Pennsylvania zurück – eine bemerkenswert schnelle Lieferung für die damalige Zeit.  

THE BRONCO BUSTER

Glenwood Springs, Colo.

Dear Mrs. Ivers [Dvaro]: Have often thought of you and often intended to write but as many times something has occurred to prevent it. Chief occupations are vapor-baths and such as you see on this postal. In spite of bad weather Fall is magnificent, the color most gorgeous & vivid. It fairly illuminates the massive cliffs & mountains as soon as covered with their somber pine trees. Rides & drives are superb. Have had a splendid summer & hope to see you soon & tell you all about it. Please remember me to Mr. Ivers [Dvaro]. With love to yourself & Clare [Clara], affectionately your friend, Will Sutton

DER BRONCO BEZWINGER

Glenwood Springs, Colorado

Liebe Frau Ivers [Dvaro], Ich habe oft an Sie gedacht und oft beabsichtigt, Ihnen zu schreiben, aber jedes Mal kam etwas dazwischen. Die Hauptbeschäftigungen hier sind Dampfbäder und Dinge wie das, was Sie auf dieser Postkarte sehen. Trotz des schlechten Wetters ist der Herbst großartig, die Farben sind prächtig und lebendig. Es leuchtet förmlich die massiven Klippen und Berge aus, die von dunklen Kiefern bedeckt sind. Ausritte und Spazierfahrten sind fantastisch. Ich hatte einen großartigen Sommer und hoffe, Sie bald zu sehen und Ihnen alles darüber zu erzählen. Bitte grüßen Sie Herrn Ivers [Dvaro] von mir.

Mit Liebe an Sie und Clare [Clara], herzlichst Ihr Freund, Will Sutton

 

Welche Details verrät die Ansichtskarte?

Die Postkarte ‚Der Bronco Bezwinger‘ ist offensichtlich gedacht als Gruß von einer Reise, adressiert an ‚Mrs Edward Dvaro‘. Eine Eigenheit, die damals – nicht nur in den USA – üblich war. Post an eine verheiratete Frau wurde adressiert an ‚Mrs Vorname.Nachname.Ehemann‘. Was es teils unmöglich macht, herauszufinden, an wen sie wirklich gerichtet war. Die Postkarte wurde am 7. Oktober 1903 in Glenwood Springs, Colorado abgeschickt. Der Poststempel trägt sogar eine Uhrzeit: 8 Uhr morgens. Glenwood Springs, Colorado, war schon damals bekannt für seine heißen Quellen und malerischen Landschaften.

„Die Siedlung Glenwood hieß ursprünglich Defiance (dt. etwa: Trotz, Missachtung) und entstand um 1883 als Ansammlung von Zelten, Saloons, Bordellen und Beherbergungsbetrieben aller Art. Wie zu erwarten, zog der Ort eine Gesellschaft aus Spielern, Revolverhelden und Prostituierten an. Die Frau des Stadtgründers Isaac Cooper, Sarah, konnte sich mit dieser Umgebung nur schwer anfreunden und überredete die Bürger der jungen Gemeinde, den Ort nach ihrer Heimatstadt Glenwood im Bundesstaat Iowa zu benennen.“ Quelle: Wikipedia

Die günstige Lage am Zusammenfluss von Colorado River und Roaring Fork River sowie der Anschluss an das Eisenbahnnetz begünstigten in der Folge die wirtschaftliche Entwicklung des Ortes. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Will Sutton seine Zeit in diesem Resort verbrachte, das bereits 1888 eröffnet wurde.

Zielort der Ansichtskarte war Allegheny City, Pennsylvania. Historisch gesehen war Allegheny eine eigenständige Stadt, die 1907 in Pittsburgh eingemeindet wurde. Die Postkarte legte somit eine Strecke von knapp 1600 Meilen (ca. 2600 Kilometer) zurück.

Nur 3 Tage später erreichte die Postkarte laut Poststempel ihr Ziel in Allegheny City. Sie wurde als ‚eingegangen‘ auf der Vorderseite abgestempelt um 4 Uhr morgens. Das ist nicht nur für damalige Verhältnisse sehr schnell. Die Kombination dieser beiden Orte auf der Postkarte bietet einen interessanten Einblick in die Postwege und Verbindungen der damaligen Zeit. Es zeigt, wie weitreichend das Postnetzwerk bereits war und wie Nachrichten über große Entfernungen hinweg ausgetauscht wurden.

Was finden wir über Will Sutton heraus?

Die Identität von Will Sutton bleibt erst einmal unklar. Während meiner Recherche stieß ich jedoch auf einen Mann namens William John Sutton (1859–1914), einen Pionier und Geologen aus British Columbia, Kanada. Laut Wikipedia:

„William John Sutton (19. Januar 1859 – 9. Mai 1914) war Holzfäller, Geologe, Mineraloge, Prüfer, Landvermesser, Dozent, Entdecker, Pionier und Förderer von Vancouver Island, British Columbia, und kandidierte zweimal bei Wahlen in British Columbia.“ 

1903 war dieser William John Sutton etwas über 40 Jahre alt. Nicht unrealistisch, dass ein Mann wie William John Sutton nicht nur British Columbia erforschte, sondern auch in Colorado unterwegs war, um sich dort die geologischen Begebenheiten wie Minen und heiße Quellen anzusehen.

Da er ein erfolgreicher und somit auch recht bekannter Mann war, findet sich im Internet erstaunlich viel über ihn. Es geht sogar so weit, dass ich herausfinden konnte, was in etwa William John Sutton im Oktober 1903 – vor über 120 Jahren! –  unternahm! Seine Frau hatte Tagebucheinträge verfasst, die in Auszügen veröffentlicht wurden. Ich finde das absolut faszinierend!

Es war auch seine Frau, die sein Leben schon damals auf Fotos festhielt.

„Seine Frau Helen Annie überlebte Sutton um 18 Jahre; sie stellte ein Album mit einigen seiner Fotografien zusammen, dass ihre Schwester 1933 dem Archiv des Royal British Columbia Museum übergab. Es enthält 57 Fotografien, die geologische Besonderheiten, Dörfer der Ureinwohner, den Cowichan-See und -Fluss sowie mehrere ‚Geisterstädte‘ auf dem Festland von British Columbia zeigen.“ 

Doch handelt es sich bei William John Sutton und Will Sutton um dieselbe Person?

Dank der Ahnenforschungs-Aufzeichnungen und Zusammenfassungen konnte ich Folgendes herausfinden: William John Sutton hielt sich am 1. Oktober 1903 in Revelstoke, Kanada auf und war am 31. Oktober 1903 in Queenstown (heute Cobh), Irland. Zusammen mit seiner Frau und seiner Schwester war er in dieser Zeit zu einer ausgiebigen Europareise aufgebrochen.

Daraus ergibt sich die folgende Frage:

War die Reise von Revelstoke nach Glenwood Springs in einer Woche realistisch?

    • Zeitrahmen: Aufenthalt in Revelstoke: 1. Oktober 1903. Versand Postkarte aus Glenwood Springs: 7. Oktober 1903

    • Transportmittel: Mit gut ausgebauten Eisenbahnverbindungen und einer Reisegeschwindigkeit von 40–50 km/h war die Strecke innerhalb von 5–7 Tagen machbar.

    • Reisezeit: Die Route von Revelstoke nach Glenwood Springs hätte mehrere Tage in Anspruch genommen, einschließlich Umstiegen in Spokane oder Salt Lake City.

    • Fazit: Es wäre theoretisch möglich gewesen, die Reise zu schaffen, jedoch wäre der Zeitrahmen äußerst knapp gewesen.

Es ergibt sich die zweite Frage:

Wenn Will Sutton am 7. Oktober 1903 in Glenwood Springs war, ist es realistisch, dass er am 31. Oktober 1903 in Queenstown (heute Cobh), Irland ankam?

Dazu habe ich ChatGPT gefragt:

Reisezeitraum und Route

    1. Startpunkt: Glenwood Springs, Colorado
        • Glenwood Springs war über die Denver & Rio Grande Western Railroad (D&RGW) mit Denver verbunden, dem nächsten großen Eisenbahnknotenpunkt.

        • Dauer: Ca. 1–2 Tage mit dem Zug nach New York City (über Denver und Chicago).

    1. Transatlantiküberfahrt:
        • Queenstown war zu dieser Zeit der wichtigste Anlaufpunkt für Transatlantikschiffe, besonders für Auswanderer.

        • Die großen Reedereien, wie die Cunard Line oder White Star Line, boten regelmäßige Verbindungen von New York City nach Queenstown an.

        • Dauer: Eine Überfahrt von New York nach Queenstown dauerte typischerweise 7–10 Tage, je nach Wetter und Schiffstyp.

    1. Rückrechnung:
        • Um am 31. Oktober in Queenstown anzukommen, müsste der Absender spätestens um den 20. bis 22. Oktober 1903 aus New York aufgebrochen sein.

        • Damit bleibt ihm zwischen dem 1. Oktober (Revelstoke) und dem 20. Oktober etwa 20 Tage, um von Kanada über Glenwood Springs nach New York zu reisen.


Reiseplanung von Revelstoke nach Queenstown:

    1. Von Revelstoke nach Glenwood Springs:
        • Revelstoke, British Columbia, lag an der Canadian Pacific Railway (CPR). Von dort hätte er nach Süden reisen können, wahrscheinlich über Spokane und Salt Lake City.

        • Dauer: Ca. 5–7 Tage.

    1. Von Glenwood Springs nach New York:
        • Direktverbindungen gab es nicht, aber von Denver aus konnte er mit der Eisenbahn nach Chicago und weiter nach New York City reisen.

        • Dauer: Ca. 2–3 Tage.

    1. Von New York nach Queenstown:
        • Die meisten Transatlantikdampfer legten in New York City ab. Beispiele für Schiffe der Cunard Line oder White Star Line, die 1903 diese Route bedienten, waren die RMS Lucania, RMS Campania, oder die RMS Oceanic.

        • Dauer der Überfahrt: 7–10 Tage.


Fazit von ChatGPT

Es wäre knapp, aber möglich gewesen, wenn er:

    • Direkt und ohne längere Aufenthalte von Revelstoke über Glenwood Springs nach New York gereist ist.

    • Ein Ticket für ein Dampfschiff hatte, das rechtzeitig abfuhr und Queenstown vor dem 31. Oktober erreichte.

Möchtest du mehr über die Transatlantikverbindungen und verfügbare Schiffe dieser Zeit erfahren, um die Reise besser einzugrenzen? 😊

Ich wollte erst einmal nicht mehr wissen. In der Zwischenzeit habe ich aber einen Scan der Postkarte an  die Ucluelet & Area Historical Society gemailt, um nach ihrer Meinung zu fragen. Denn auf ihrer Seite wird das Leben des Pionier Will Sutton hervorgehoben

Wer war Mrs. Edward Dravo?

Die Empfängerin der Karte könnte zur Dravo-Familie aus Pittsburgh, Pennsylvania, gehören. Die Dravo Corporation, gegründet 1891, war ein bedeutendes Unternehmen in der Stahl- und Schiffbauindustrie. Die Anrede „Mrs. Edward Dravo“ spiegelt die damalige Gepflogenheit wider, Frauen unter dem Namen ihres Ehemanns anzusprechen, was die genaue Identifikation erschwert. 

Ein weiteres Indiz, dass es sich hier um ‚den‘ Will Sutton handelt, der kurz davor ist, zu seiner Europareise aufzubrechen, ist diese Textzeile in der Postkarte: „Ich hoffe, Sie bald zu sehen.“ Allegheny City liegt auf dem Weg nach New York City, gut möglich, dass die drei Reisenden dort einen Zwischenstopp eingelegt haben.

Technische Analyse durch KI

Posteingangsstempel von 1903, markiert mit Allegheny City, Pennsylvania.
ein von KI bearbeiteter Poststempel

ChatGPT entzifferte die Handschrift der Postkarte weitgehend korrekt, hatte jedoch bei Namen wie „Dvaro“ und „Clare“ Schwierigkeiten. Die menschliche Überprüfung war hier präziser. Auch der Posteingangsstempel wurde von der KI nicht fehlerfrei erkannt.

Schlussfolgerung

Es bleibt erst einmal ungewiss, ob Will Sutton tatsächlich mit William John Sutton identisch ist. Die zeitlichen und logistischen Bedingungen sprechen nicht komplett dagegen. Die drei müssen dann aber auf ihrer Reise einen sehr strammen Zeitplan gehabt haben. Für die Empfängerin Mrs. Dravo gibt es Hinweise auf die Dravo-Familie, jedoch bleibt die genaue Zuordnung unklar. Aktuell sehe ich mir die Ellis-Island-Passagierlisten aus dem Oktober 1903 an, bin aber bisher nicht fündig geworden.

Update 1 am 19.11.2024
  • Ich bin mir ziemlich sicher, dass Will Sutton und William John Sutton dieselbe Person sind. Auf der janetandstephen.info Seite ist weiter zu lesen: „It seems likely they retained their individuality during their marriage: Will was constantly away on trips around Vancouver Island and further afield as part of his job whilst Annie stayed in Victoria, keeping an eye on the family business.“
  • Aus einem Tagebucheintrag geht hervor, dass die drei am 31. Oktober 1903 in Queenstown, Irland waren. Also ungefähr Mitte Oktober mit einem Dampfschiff übergesetzt haben müssen. In besagtem Tagebucheintrag schreibt Annie aber, dass sie vor ihrer Ankunft in Queenstown langsam den Mersey River hochfuhren und in Liverpool ankamen! Liverpool war ein zentraler Anlaufpunkt für Transatlantikdampfer, die von Nordamerika nach Großbritannien fuhren. Meinen Recherchen zufolge war ihr Abfahrtshafen nicht New York City, sondern Philadelphia, was nur noch 300 Meilen von Allegheny City/Pittsburgh entfernt ist. Von dort verband die SS Haverford der American Line die Städte Philadelphia und Liverpool. Laut Wikipedia: „After briefly serving the Southampton to New York route, Haverford was transferred to the Liverpool – Philadelphia route by 1903.“ Und genau dieses Schiff verließ den Hafen von Liverpool am 7. Oktober 1903 und kam etwa 7 -10 Tage später am Ziel an. Nach ihrer Ankunft Mitte Oktober (zwischen dem 14. und 17. Oktober) machte sie sich zeitig wieder auf den Rückweg nach Liverpool. Und genau auf diesem Boot, vermute ich, sind Will Sutton, seine Frau und seine Schwester mitgereist, waren wiederum 7–10 Tage unterwegs und konnten so am 31. Oktober in Queenstown, Irland sein. 
  • Ich habe eine Passagierliste von der Fahrt am 7. Oktober 1903 Liverpool – Philadelphia gefunden. Aber von der folgenden Fahrt Philadelphia – Liverpool kann ich leider keine Informationen finden.
  • Festzustellen ist, dass eher Daten zu finden sind, die bei einer Einreise in die USA aufgenommen wurden. Andere Länder haben teils später damit begonnen oder diese Listen sind nicht vorhanden, nicht digitalisiert oder nicht öffentlich. Falls jemand weiß, wie ich an Informationen zu besagter Fahrt Mitte Oktober komme, bitte hinterlasst einen Kommentar.

Dieser Artikel hätte gefühlt auch ein ganzes Buch werden können. Was nicht richtig abzusehen war, als ich begonnen habe, ihn zu schreiben. Es gibt aber ein Buch über Will Sutton. Und der Vollständigkeit halber möchte ich erwähnen, was ich erst am Ende des Tages las:

„Will and James, now in their early twenties jumped on a lucrative opportunity to supply North American and European museums with artifacts and human skeletons — by robbing the graves of First Nation people on Vancouver Island. The prevailing thought held little regard for the right of indigenous people but the boys knew they were on shaky moral and legal ground. They managed to keep one step ahead of angry natives and unsympathetic authority. Will and James eventually felt pressure from both native and local authority and decided to leave the Cowichan area to expand their family holdings in Ucluelet.“

 
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